Aussaat. Unsere Idee von ‚Weissenhof 2027‘ erhält den 2. Platz

100 Jahre Weissenhof steht für ein Jahrhundert Baugeschichte, die nicht nur eine besondere Ästhetik, sondern ein ganzheitliches Denken der damals 17 beteiligten Architekten beschreibt – die ihre Denke durch Mut zum Experimentieren mit Materialien und Formen sowie durch eine Konzentration auf Wesentliches unterstrichen haben. Durch ein Bauen im Kollektiv, für den modernen Menschen und im Einklang mit der Umgebung, ist die Siedlung 1927 unter vielen Fragestellungen und Betrachtungsweisen entstanden, die auch uns umtrieben, als wir begannen, die Weissenhofsiedlung für den Ideenwettbewerb behutsam in die Zukunft zu denken. Wie wollen wir zusammenleben? Wie gestaltet sich privater Wohnraum – der immer mehr auch zum Arbeitsraum wird? Wie müssen wir öffentliche Flächen denken, die heute und morgen urbane Lebensqualität bieten und dabei facettenreich und nachhaltig sind? Wie gehen wir mit diesem denkmalgeschützten, besonderen Ort um, damit die Weissenhofsiedlung als Weltkulturerbe und ihre Identität bewahrt bleiben?

Bewusst Geschichte zeigen und zeitgemäßen Lebensraum bieten: Es war uns eine Herzensangelegenheit, mit der Neugestaltung der Außenflächen um die Weissenhofsiedlung einen zeitgemäßen Ort zu schaffen, der die Bedürfnisse und Anforderungen unserer Zeit aufgreift und gleichzeitig auf seine Geschichte verweist. So haben wir die Weissenhofsiedlung in ihrer markanten

Grundstruktur herausgearbeitet. Die umlaufenden, weißen Gartenmauern haben wir betont und die Freiflächen, soweit möglich, in ihre damalige Gestaltung zurückversetzt. Analog zu der historischen, östlichen Baumreihe erhalten die Straßen nach Westen und Süden ebenfalls Baumreihen – allesamt die städtebauliche Grundform nachzeichnend und stärkend. Im Zentrum der Siedlung wird ein leeres Grundstück zum kontemplativen Freiraum für alle Anwohner und Besucher. Die historische Trennung von Fahrbahn und Gehweg haben wir beibehalten, um der klassischen Zonierung von privaten und öffentlichen Räumen gerecht zu bleiben. Die durch die Siedlung führenden Straßen haben wir auf ein Mindestmaß reduziert, um nachhaltige, markante Freiräume zu schaffen, die Kommunikation und Begegnung sowie eine hohe Aufenthaltsqualitäten zu ermöglichen, übergeordnete Zusammenhänge herzustellen und heterogene Stadtbaustrukturen zusammenzubinden.

Ein Hain als Zentrum: Teil der Aufgabenstellung war es, ein Informations- und Besucherzentrum, das bis zum Jubiläum 2027 fertiggestellt werden soll, zu integrieren und die angrenzende Akademie der Bildenden Künste Stuttgart sowie die Brenzkirche in ein zukunftsfähiges Weissenhofareal einzubeziehen. Unsere Idee von einer zeitgemäßen und gleichzeitig die besondere Geschichte der Siedlung bewahrenden Weiterentwicklung war ein verbindender ‚Weissenhof-Hain‘ als räumliche Mitte des Areals. Ein neuer, rechteckiger Hain, der prägende Elemente der Weissenhofsiedlung aufgreift, wie beispielsweise ein Baumdach aus Schwarzkiefern, weiße Mauern und Bodenmodellierungen. Ein kleiner Wald, der es schafft, die Brenzkirche mit der Kunstakademie, dem neuen Besucherzentrum sowie der Weissenhofsiedlung zu verbinden – und aus Kiefern besteht, die sich als Referenz an die naheliegende Feuerbacher Heide und an den von den Bauhaus-Architekten bevorzugten Baumtypus erinnern. Der zu einem Ort der Begegnung und des Austausches wird – und, angelehnt an die Herangehensweise der bauenden Architekten von 1927, vielfältige Experimentierfreunde weckt. Wir dachten hier an ein immer wieder neu kuratiertes Experimentierfeld in Form einer Lichtung inmitten des Kiefernhains, das eine inhaltliche Auseinandersetzung mit aktuellen Themen aus Architektur und Design bietet – ähnlich eines von verschiedenen nationalen wie internationalen Architekturbüros oder Hochschulen temporären Pavillons.

Das neu zu erschaffende Besucher- und Informationszentrum haben die Architekten von Bottega + Ehrhardt als Auftaktgebäude des Weissenhofareals auf einem sinnbildlichen Plateau an der Hangkante zur Stadt und dem Neckartal positioniert. Markant und als eigenständiges Eckgebäude. Aus Richtung Stadt hätte das Gebäude den adäquaten Auftakt für die Erkundung der Weissenhofsiedlung gebildet – und gleichzeitig die Aussichtsplattform der Hermann-Lenz-Höhe wieder in das städtische Bewusstsein zurückgebracht. Für ein Interagieren in alle Richtungen – mit dem zentralen Weissenhof-Hain und dem darin implementierten Experimentierfeld, den Gebäuden der Weissenhof- und Beamtensiedlung sowie der Stadtebene, dem Neckartal und der für Stuttgart so prägnanten Topografie.

Unser Tipp: Wer weitere Details und einiges Überraschendes über die Weissenhofsiedlung erfahren möchte, kann im Weissenhof Museum im Haus Le Corbusier vorbeischauen. Oder für einen ersten ‚Sneak-Peak‘ auf dessen Website gehen. Insbesondere die Kurzfilme bieten spannende Einblicke:

https://weissenhofmuseum.de/museum/#film